Ein satirischer Blick auf den Zustand der Aufarbeitung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung
„Wir danken für Ihre Nachricht. Wir nehmen Ihr Anliegen sehr ernst.
Es wurde intern weitergeleitet.“Originalzitat aus ungefähr 72 Mails, die wir inzwischen erhalten haben
🧏🏼 Kapitel I: Der große Irrtum – Wir glaubten, man würde zuhören.
Als wir begannen, unsere Erfahrungen mit einer Werkstatt für behinderte Menschen öffentlich zu machen – dokumentiert, sachlich, belegt –, dachten wir: Vielleicht interessiert das jemanden. Immerhin geht es um sexualisierte Gewalt, strukturelles Wegsehen, Menschen mit Behinderungen und deren Recht auf Aufarbeitung. Also Themen, bei denen in Reden oft die Worte „Herzensanliegen“ oder „unsere Verantwortung“ fallen.
Spoiler: Die Realität ist anders. Viel stiller. Und deutlich kafkaesker.
🔀 Kapitel II: Das große Weiterleiten
Es begann mit einer E-Mail. Dann noch eine. Und noch eine. Landesamt, Weißer Ring, Behindertenbeauftragte, Träger, Behörden, Stiftungen, Ministerien, Fachstellen für Teilhabe, Ethikkommissionen, Kontrollinstanzen, gelegentlich auch eine sehr freundliche Sekretärin.
Und jedes Mal ein Muster:
- Man bedankt sich.
- Man findet’s wichtig.
- Und man… leitet es weiter.
Wohin?
In einen institutionellen Äther. In eine Posteingangs-Außenstelle für unbequeme Wahrheiten. In den Ordner: „Ungeprüft – aber immerhin elegant formuliert.“
🙊 Kapitel III: Die stille Kunst der Nicht-Antwort
Was man nach einem Jahr strukturiertem Ringen um Antworten sagen kann:
Schweigen ist keine Kommunikationsstörung – es ist eine Technik.
⇒ Die Diakonie sagt, sie wolle aufarbeiten.
⇒ Der Behindertenbeauftragte sagt… nichts.
⇒ Die Werkstattleitung sagt, man könne reden – aber nur, wenn man nichts schriftlich wolle.
Und alle anderen sagen: „Dafür sind wir nicht zuständig, aber wir verstehen Ihr Anliegen sehr gut.“
Wir haben gelernt:
Verantwortung hat ein Verfallsdatum.
Und zwar ungefähr 14 Tage nach Eingang der E-Mail. Danach wird sie automatisch umgewandelt in
→ „Verwaltungsenergieverlust bei gleichbleibender Betroffenheitsrhetorik.“
⚖️ Kapitel IV: Menschen mit Behinderungen und der große Rechte-Mythos
Es gibt einen feinen Unterschied zwischen dem Recht auf Teilhabe und der tatsächlichen Möglichkeit, es einzufordern.
Menschen mit Behinderungen, die Gewalt erfahren – in Systemen, die sie eigentlich schützen sollten – sind rechtlich gesehen nicht schutzlos.
Sie sind nur praktisch komplett auf sich gestellt.
Denn Aufarbeitung systemischer Verantwortung scheint oft nur dort zu funktionieren,
- wo jemand schreiben kann,
- sprechen kann,
- verlinken kann,
- Rückfragen formulieren kann – und den Nerv hat, sich 14 Monate lang durch Behörden-Echos zu hangeln, ohne dabei zu verglühen.
Was ist mit denen, die das nicht können?
⇒ Die keine Website haben?
⇒ Die keinen Dossier-PDF-Export bereitstellen?
Die leben weiter im Schweigen.
Und niemand merkt’s.
📢 Kapitel V: Vielleicht sind wir einfach zu laut.
Oder 👇🏼 zu schriftlich.
Oder 👇🏼 zu wahr.
Vielleicht liegt es daran, dass wir nicht nur „Einzelfälle“ benennen, sondern von Strukturen sprechen. – Von Verantwortung.
Von dem, was passiert, wenn Einrichtungen mit Bibelzitaten auf der Website in Wirklichkeit niemanden anrufen, wenn’s ernst wird.
Vielleicht ist das zu viel.
Vielleicht braucht man Aufarbeitung in Werkstätten für Menschen mit Behinderung – aber bitte nur mit klar definiertem Rand.
🗣 Kapitel VI: Fazit mit freundlicher Stimme
Wir bleiben dran.
Weil wir glauben, dass Menschen mit Behinderungen das Recht haben auf eine Stimme – auch wenn die Leitstelle für institutionalisierten Fortschritt gerade Betriebsferien macht.
Wir warten nicht mehr auf den richtigen Moment.
⇒ Wir sind der Moment.
⇒ Wir schreiben.
⇒ Wir dokumentieren.
⇒ Wir hören nicht auf.
Und falls Sie das hier lesen und denken:
„Dafür bin ich nicht zuständig“ –
dann leiten Sie es bitte weiter.
An Ihr Gewissen.