🔐 Register für psychisch Erkrankte?

Frau blickt auf Handy mit CDU-Politiker Bartelt, im Hintergrund Monitor mit NS-Schriftzug – kritische Illustration zum geplanten Register psychisch Erkrankte

Die stille Gefahr hinter einem lauten Vorschlag

🧠 1. Was wird gerade diskutiert?

In politischen Debatten – unter anderem durch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann – wird derzeit über ein zentrales Register für Menschen mit psychischen Erkrankungen diskutiert.
Der Fokus liegt dabei auf sicherheitspolitischen Fragen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Waffenrecht.

Linnemann äußerte im Deutschlandfunk, es gebe „große Raster für Rechtsextremisten“, aber nicht für „psychisch kranke Gewalttäter“ – was laut ihm ein „Defizit“ sei.

"Es reicht nicht aus, Register anzulegen für Rechtsextremisten und Islamisten sondern in Zukunft sollte das auch für psychisch Kranke gelten."

Carsten Linnemann am 18.09.2023 bei einer Pressekonferenz im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin. Foto: Dr. Frank Gaeth

Bartelt und sein Instagram-Reel

Auch der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Hessischen Landtag, Ralf-Norbert Bartelt, äußerte sich öffentlich zur Thematik:

In einem 👉🏼 Video auf dem Instagram-Kanal der CDU-Fraktion Hessen forderte er, dass „schwer psychiatrisch erkrankte Menschen, die eine Gefahr für sich selbst und die Gemeinschaft darstellen“, den Ordnungsbehörden gemeldet werden müssen.

Die Äußerung löste – gerade auch in sozialen Medien – massive Kritik aus.

Betroffenenorganisationen, Ärzt:innenverbände und zivilgesellschaftliche Initiativen warnten vor einer gefährlichen Stigmatisierung.

Der Vorschlag: Menschen, die sich wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung befinden oder befanden, könnten künftig zentral erfasst und – je nach behördlicher Einschätzung – automatisch gemeldet werden.

Als Begründung wird häufig auf sicherheitsrelevante Aspekte verwiesen, etwa das Waffenrecht. Doch das eigentliche Signal reicht weiter: Psychisch Erkrankte würden unter Generalverdacht gestellt – nicht wegen ihres Verhaltens, sondern aufgrund ihrer Diagnose.

Was auf den ersten Blick nach Prävention und Kontrolle klingt, wirft bei genauerem Hinsehen erhebliche grundrechtliche, ethische und medizinische Fragen auf.

⚠️ 2. Warum ist das gefährlich?

  • Die 👉🏼 DGPPN („Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde“) lehnt ein solches Register strikt ab. Sie macht deutlich: Psychisch erkrankte Menschen sind als Gesamtgruppe nicht gewalttätiger als andere. Einzelne Krankheitsbilder wie Psychosen oder Suchterkrankungen bergen nur unter bestimmten Bedingungen Risiken – deren Behandlung das Risiko senken kann.
  • Das 👉🏼 Aktionsbündnis Seelische Gesundheit schließt sich der Kritik an: Ein Register würde stigmatisieren und Behandlungsbarrieren erhöhen.
  • Studien zeigen: Rund ein Drittel der Bevölkerung erlebt jährlich eine psychische Belastung. Das tatsächliche Risiko, Gewalt auszuüben, liegt jedoch bei nur ca. 4 %, während 96 % ohne Gewalttaten bleiben. Damit sind Menschen mit psychischen Erkrankungen überwiegend nicht gefährlich.

🕰️ 3. Was die Geschichte lehrt

Die Vorstellung, Menschen mit psychischen Erkrankungen systematisch zu erfassen, hat in Deutschland eine dunkle Vorgeschichte.

In der Zeit des Nationalsozialismus diente genau dieses Denken als Grundlage für das sogenannte „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933.

Menschen mit als „erbkrank“ deklarierten Diagnosen – darunter Schizophrenie, manisch-depressive Erkrankung, Epilepsie oder auch Alkoholismus – wurden zwangssterilisiert. Mehr als 400.000 Betroffene verloren durch dieses Gesetz dauerhaft ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung.

Was zunächst als „Vorsorgegesetz“ verkauft wurde, mündete in systematische Gewalt. Die zentrale Idee war: Menschen mit psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen gelten nicht als schützenswert, sondern als Risiko für das „Volkswohl“.

Aus „Verwaltung“ wurde Selektion. Aus „Register“ wurde Todesliste. Die Erfassung in Akten, Kliniken und Verwaltungsapparaten war die Voraussetzung für das spätere Morden im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“, bei der über 70.000 Menschen mit Behinderungen in Gaskammern ermordet wurden – organisiert, koordiniert, legitimiert durch ein System, das aus Abweichung Gefahr machte.

Mehr über den Umgang mit Menschen mit Behinderungen in der NS-Zeit erfahrt ihr in meinem Beitrag 👇🏼 150 Jahre Bethesda St. Martin .

Die Abgrenzung zur NS-Zeit ist selbstverständlich.
Doch wer beginnt, Krankheit zur Kategorie staatlicher Kontrolle zu machen, bewegt sich in einer bedenklichen historischen Kontinuität:

Wenn psychische Erkrankung wieder zum Kriterium für Kontrolle wird – und nicht für Fürsorge –, dann ist es nicht einfach nur ein sicherheitspolitischer Vorschlag. Dann steht die Menschenwürde zur Disposition.

Das Grundgesetz formuliert einen klaren Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Ideologie: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wer daraus ableitet, dass Menschen mit psychischer Belastung unter Generalverdacht gestellt werden dürfen, verlässt den Boden dieser Verfassung.

💬 4. Stimmen aus der Realität

  • Die 👉🏼 Deutsche DepressionsLiga kritisiert Linnenmanns Vorschlag als pauschalisierend und menschenfeindlich, da er Millionen Betroffenen Vorverurteilung unterstellt.

  • Auch 👉🏼 taz stellt klar: Ein Register würde Betroffene abschrecken, Hilfe zu suchen, und hätte den Anschlag in Magdeburg nicht verhindert, da keine Diagnose vorlag.

💡 5. Was wir brauchen statt Register

Aus medizinischer und gesellschaftlicher Perspektive ist eine differenzierte Gefährdungsbeurteilung erforderlich – z. B. im Rahmen des bestehenden Waffenrechts, mit individueller Prüfung, nicht pauschaler Erfassung. Die DGPPN fordert stattdessen bessere Behandlungsmöglichkeiten, nicht Überwachung.

Selbsthilfeorganisationen fordern Ausbau von niedrigschwelligen Angeboten und Entstigmatisierung, um die Hilfsbereitschaft zu stärken.

🎯 6. Müselmulms Fazit

Ein Register für psychisch Erkrankte ist kein effektives Sicherheitsinstrument. Es erzeugt Misstrauen, entzieht Würde und untergräbt das Vertrauen in Therapie und Datenschutz. Eine Gesellschaft, die Menschen ausschließlich über Diagnosen definiert, vergisst Verantwortung in ihrer humanitären Dimension.

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